Über die Wahrheit der Liebe
Zu Mersburg bei Konstanz lebte gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein ehrlicher Bursch, Heinz Klöpfgeißel geheißen, und Faßbinder seines Zeichens, von guter Gestalt und Gesundheit. Er stand in inniger Wechselneigung mit einem Mädchen, Bärbel, der einzigen Tochter eines verwitweten Glöckners, und wollte sie ehelichen, doch stieß des Pärchens Wunsch auf väterlichen Widerstand, denn Klöpfgeißel war ein armer Kerl, und der Glöckner forderte erst eine stattliche Lebensstellung von ihm, daß er Meister würde in seinem Gewerbe, bevor er ihm seine Tochter gäbe. Die Neigung der jungen Leute aber war stärker gewesen als ihre Geduld, und aus dem Pärchen war vor der Zeit schon ein Paar geworden. Denn nächtlich, wenn der Glöckner glöckeln gegangen war, stieg Klöpfgeißel ein bei Bärbel, und ihre Umarmungen ließen das eine dem andern als das herrlichste Wesen auf Erden erscheinen.
So standen die Dinge, als eines Tages der Faßbinder sich mit anderen munteren Gesellen nach Konstanz begab, wo Kirchweih war und wo sie einen guten Tag hatten, so daß sie am Abend der Haber stach und sie beschlossen, in eine Schlupfbude zu Weibern zu gehen. Nach Klöpfgeißels Sinn war es nicht, er wollte nicht mithalten. Aber die Burschen verhöhnten ihn als einen Zümpferling und setzten ihm zu mit ehrrührigen Spottreden, ob es am Ende mit ihm nicht das Rechte und er gar nicht auf dem Posten sei; und da er dies nicht ertrug, dazu auch des Starkbiers sowenig geschont hatte wie die anderen, so ließ er sich breitschlagen, sagte "Hoho, das weiß ich anders" und stieg mit der Bande ins Zatzenstift.
Hier begab es sich, daß er eine arge Beschämung erlitt, so, daß er nicht wußte, welch Gesicht zu sich selber machen. Denn wider alles Erwarten war es bei der Schlumpe, einem ungarischen Weibe, ganz und gar nichts Rechtes mit ihm, und ganz und gar nicht war er bei ihr auf dem Posten, worüber sein Ärger unmäßig war und auch sein Schrecken. Denn das Mensch lachte ihn nicht nur aus, sondern schüttelte auch bedenklich den Kopf und meinte, da müsse was stinken und nicht geheuer sein; ein Bursche von seinem Bau, dem´s plötzlich nicht mehr gelänge, der sei des Teufels Märtyrer, dem müsse man es gekocht haben, - und was solcher Reden noch mehr waren. Er schenkte ihr viel, damit sie es seinen Kumpanen nicht sagte, und kehrte niedergeschlagen nach Hause zurück.
Sobald wie möglich, wenn auch nicht ohne Besorgnis, gab er sich mit seiner Bärbel ein Stelldichein, und während der Glöckner glöckelte, hatten sie miteinander die wohlgeratenste Stunde. So fand er seine Jungmannsehre wiederhergestellt und hätte vergnügt sein können. Denn außer der Ersten und Einen war ihm an keiner gelegen, und warum sollte ihm also an sich viel gelegen sein, außer bei ihr? Aber eine Unruhe war seit jenem Fehlschlag in seiner Seele zurückgeblieben, und es bohrte in ihm, daß er sich auf die Probe stelle und einmal, wenn auch dann niemals wieder, der Herzallerliebsten ein Schnippchen schlüge. Darum lugte er heimlich nach einer Gelegenheit aus, sich zu versuchen, sich und auch sie; denn er konnte kein Mißtrauen hegen gegen sich selbst, ohne daß es als leiser, zwar zärtlicher, aber banger Verdacht zurückgegangen wäre auf die, an der seine Seele hing.
Nun fügte es sich, daß er im Keller des Weinwirts, eines kränkelnden Wanstes, die gelockerten Reifen zweier Fässer an den Dauben festzuschlagen bestellt war, und des Wirtes Weib, ein noch rösches Frauenzimmer, mit hinabstieg und ihm bei der Arbeit zusah. Da streichelte sie ihm den Arm und legte den ihren daran zum Vergleich und machte ihm solche Mienen, daß er ihr unmöglich abschlagen konnte, was zu leisten sein Fleisch bei aller Willigkeit des Geistes denn doch gänzlich gehindert war, so daß er ihr sagen mußte, es tanzerte ihn nicht, und er habe es eilig, und gewiß komme gleich ihr Mann die Treppe herunter, und Fersengeld gab, indem er der verbittert Hohnlachenden schuldig blieb, was kein rüstiger Bursche schuldig bleibt.
Er war tief verwundet, irregemacht an sich selbst und nicht nur an sich; denn der Verdacht, der sich schon nach dem ersten Mißgeschick in seine Seele geschlichen, besaß ihn nun ganz, und daß er des Teufels Märtyrer sei, litt für ihn keinen Zweifel mehr. Darum, weil das Heil einer armen Seele und seines Fleisches Ehre dazu auf dem Spiele standen, ging er zum Pfaffen und sagte ihm alles durchs Gitter ins Ohr: daß es mit ihm spuke, und daß er´s nicht vermöchte, sondern gehindert sei, ausgenommen bei einer einzigen, und wie das zugehen möge, und ob die Religion gegen eine solche Unbilde nicht mütterliche Abhilfe wisse.
Nun war aber damals und dazulande die Pest des Hexenwesens nebst vielen einschlägigen Leichtfertigkeiten, Sünden und Lastern durch Anstiftung des Feindes des menschlichen Geschlechtes und zur Beleidigung göttlicher Majestät in arger Ausbreitung begriffen, und strenge Wachsamkeit war den Seelenhirten zur Pflicht gemacht worden. Der Pfaffe, dem diese Kategorie des Unwesens, daß Männer an ihrer besten Kraft waren verzaubert worden, nur allzu bekannt war, ging mit Klöpfgeißels Beichte an höhere Stelle, das Glöcknerskind wurde eingezogen, vernommen und gestand wahr und wahrhaftig, sie habe, in Herzensangst um die Treue des Jungen, damit er nicht anderweitig ihr möchte ausgespannt werden, bevor er vor Gott und den Menschen der Ihre geworden, von einer Vettel, Badefrau von Gewerb, ein Specificum angenommen, eine Salbe, angeblich aus dem Fett eines ungetauft verstorbenen Kindes hergestellt, mit der sie, um sich seiner nur fest zu versichern, ihrem Heinz bei der Umarmung heimlich und in bestimmter Figur den Rücken gesalbt habe. Nun ward auch das Badeweib inquiriert, das zähe leugnete. Sie mußte der weltlichen Behörde überstellt werden mit der Anheimgabe von Befragungsmitteln, die der Kirche nicht anstanden; und unter einigem Druck kam denn an den Tag, was man hatte erwarten müssen: daß die Vettel in der Tat eine Abrede mit dem Teufel hatte, der ihr in Gestalt eines bocksfüßigen Mönches erschienen war und sie beredet hatte, die göttlichen Personen auf den christlichen Glauben mit greulichen Schmähreden zu verleugnen, wogegen er sie mit Anweisungen zur Herstellung nicht nur jener Liebessalbe, sondern auch noch anderer Schand-Panazeen versehen hatte, darunter eines Fettes, mit dem bestrichen jedes Holz sich mit dem Adepten flugs in die Lüfte erhob. Die Umständlichkeiten, durch die der Böse seinen Pakt mit der Alten besiegelt hatte, kamen nur stückweise, unter wiederholtem Druck, zum Vorschein und waren haarsträubend.
Für die nur mittelbar Verführte hing alles nunmehr davon ab, wie weit ihr eigenes Seelenheil durch die Annahme und den Gebrauch des verworfenen Präparates in Mitleidenschaft gezogen war. Zum Unglück des Glöcknerkindes legte die Alte nieder, daß der Drache ihr aufgegeben hatte, recht viele Proselyten zu machen, denn für jedes Menschenkind, das sie ihm zuführe, indem sie es zum Gebrauch seiner Gaben verleite, wolle er sie gegen das ewige Feuer etwas fester machen, so daß sie nach fleißiger Zutreibe-Arbeit mit einem asbestenem Panzer gegen die Flammen der Hölle gewappnet sein werde. - Dies brach Bärbeln den Hals. Die Notwendigkeit, ihre Seele vor ewigem Verderben zu retten, sie durch Darangabe des Leibes den Klauen des Teufels zu entreißen, lag auf der Hand. Und da überdies, einreißender Verderbnis wegen, ein Exemplum zu statuieren bitter notwendig war, so wurden an benachbarten Pfählen auf öffentlichem Platze zwei Hexen eingeäschert, die alte und die junge. Heinz Klöpfgeißel, der Verzauberte, stand entblößten Hauptes und Gebete murmelnd in der Zuschauermenge. Die vom Rauche erstickten und und heiser verfremdeten Schreie seiner Geliebten erschienen ihm als die Stimme des Dämons, der widerwillig krächzend aus ihr fuhr. Von Stund an war die ihm angetane schnöde Beschränkung behoben, denn nicht sobald war seine Liebe verkohlt, als ihm die sündlich entwendete freie Verfügung über seine Männlichkeit zurückgegeben war. -
Aus: Thomas Mann, Doktor Faustus