Zehntes Kapitel - Wie Gargantua andern Pädagogen untergeben ward
Indessen ward sein Vater gewahr, daß er zwar allerdings fleißig studiert' und alle seine Zeit dran wandte, gleichwohl aber in nichts vorrückte und, was das ärgste war, davon ganz töricht, damisch, faselig und blöd im Kopfe ward. Dessen beklagt' er sich eines Tags bei dem Don Philipp, des Marays Vizekönig in Widerpapenheim. Der gab ihm zu verstehen, es würd' ihm weit nützlicher sein, gar nichts zu lernen, als solche Bücher unter solchen Lehrmeistern, weil ihr Wissen eitel Viehzeugs und ihre Weisheit nichts als leeres Stroh war, welches die guten edeln Geister verbastardiert' und alle Blüt der Jugend erstickt'. »Denn zum Beweis, daß ihm so sei«, sprach er, »nehmt einen dieser jungen Knaben her, von der heutigen Welt, der nicht länger als zwei Jahr studiert hat: wo er nicht ein viel besseres Urteil, bessere Wort und Ausdrück als Euer Sohn, einen bessern Anstand und Sittsamkeit vor der Welt hat, so haltet mich Euer Lebtag für einen Lügenbeutel.« Dies gefiel Grandgoschier sehr wohl, und befahl alsbald, daß man's versuchte. Des Abends beim Imbiß führet' der von Marays einen seiner jungen Pagen, Eudämon mit Namen, herein, so wohl geschmückt, gestutzt, frisiert, so sauber ausgestäubt, gebügelt und so sittsamen Wesens, daß er vielmehr einem kleinen Engelein als einem Menschen ähnlich sah, und sprach darauf zum Grandgoschier: »Sehet Ihr dieses junge Kind hier? Es ist noch nicht zwölf Jahr alt. Lasset uns nun, wenn's Euch genehm ist, sehen, was Unterschieds zwischen der Weisheit Eurer verplapperten Phantasten aus der alten Zeit und unsern jungen Leuten von heut sei.« Die Prob gefiel dem Grandgoschier, und hieß dem Pagen sein' Sach vortragen. Darauf trat Eudämon, nachdem er seinen Herren, den Vizekönig, um Erlaubnis dazu gebeten, die Mütz in der Hand, mit klarem Antlitz, rotem Mündlein, unerschrockenen steten Augen, den Blick auf den Gargantua richtend, in jugendlicher Bescheidenheit vor ihn hin und fing ihn an zu loben und zu verherrlichen, erstlich wegen seiner Tugend und guten Sitten, zweitens wegen seiner Gelehrtheit, drittens wegen seines Adels, viertens um seiner leiblichen Schönheit willen; und zum fünften ermahnt' er ihn mit sanften Worten, seinem Vater in allen Stücken ehrerbietig und folgsam zu sein, welcher ihn wohl unterrichten zu lassen so große Sorge trüg. Schließlich bat er, ihn unter seine geringsten Diener mit aufzunehmen; denn größere Gnaden könnt' er ihm dermalen vom Himmel nicht erbitten, als daß ihm nur das Glück zuteil würd, ihm einen gefälligen Dienst zu erweisen. Dies alles ward mit so schicklichen Gebärden, so beredsamer Stimm, so deutlichem Ausdruck, in so zierlicher Sprache und feinem Latein von ihm vorgebracht, daß man ihn eher für einen Gracchus, Cicero oder Aemilius der Vorzeit, als für einen jungen Knaben dieses Jahrhunderts gehalten hätt'. Dagegen bestand des Gargantua ganze Antwort in weiter nichts, als daß er euch wie eine Kuh zu heulen anfing, sein Hütlein vors Gesicht klappt', und man eher einem toten Esel einen Furz hätt' entlocken mögen, als ihm auch nur einziges Wörtlein. Darob erzürnet' sich sein Vater so schwer, daß er den Meister Zäumlein umbringen wollt'; doch der von Marays hielt ihn durch gute Worte noch ab, daß sich sein Zorn etwas legte. Befahl darauf, ihm seinen Lohn bar auszuzahlen, auch ihm noch einen Wegtrunk Weines zu geben. »Dann aber«, sprach er, »kann er zu allen Teufeln gehn. Zumindest wird er heut seinem Wirt nichts kosten, wenn er etwa so sackvoll wie ein Engelländer sterben sollte.« Als Meister Zäumleinaus dem Haus war, beratschlagt' Grandgoschier sich mit dem Vizekönig, was man ihm für einen Präzeptor geben sollt', und ward unter ihnen ausgemacht, zu diesem Amt den Ponokrates, den Pädagogen des Eudämon, anzustellen, und sollten all mitsammen gen Paris ziehen, wo sie sich umtun könnten, wie es derzeit mit dem Studieren der jungen Leut in Frankreich bestellt war.
François Rabelais, übersetzt von Johann Fischart