Dem an der dialektischen Theorie Geschulten widerstrebt es, in positiven Vorstellungen von der richtigen Gesellschaft sich zu ergehen, von ihren Bürgern, ja selbst von denen, die es vollbrächten. Die Spuren schrecken; dem Rückschauenden verschwimmen alle Gesellschaftsutopien seit der Platonischen in trüber Ähnlichkeit mit dem, wogegen sie je ausgesonnen waren. Der Sprung in die Zukunft, hinweg über die Bedingungen des Gegenwärtigen, landet im Vergangenen. Mit anderen Worten: Zwecke und Mittel sind nicht unabhängig voneinander zu formulieren. Dialektik will nichts von der Maxime wissen, daß jene diese heiligten, so nahe dem auch die Lehre von der List der Vernunft ebenso wie die Unterordnung der Einzelspontaneität unter die Parteidisziplin zu kommen scheint. Der Glaube, das blinde Spiel der Mittel sei durch die Oberhoheit der rationalen Zwecke bündig zu ersetzen, Ovar bürgerlich-utopistisch. Zur Kritik steht die Antithese von Mittel und Zweck selber. Beide sind im bürgerlichen Denken verdinglicht, die Zwecke als »Ideen«, deren Unveräußerlichkeit in der Ohnmacht besteht äußerlich zu werden, und die schlau die eigene Unrealisierbarkeit in die Form ihrer Unbedingtheit einkalkulieren; die Mittel als »Gegebenheiten«, sinnleer-bloßes Dasein, nach Wirksamkeit oder Unwirksamkeit für Beliebiges auszusortieren, aber vernunftlos an sich. Der versteinerte Gegensatz gilt in der Welt, die ihn produzierte, aber nicht für die Anstrengung, jene zu verändern. Solidarität kann zur Unterordnung nicht bloß des Einzelinteresses sondern selbst sogar der besseren Einsicht verpflichten. Umgekehrt kompromittiert Gewalttat, Manipulation und schlaue Taktik das Ziel, auf das sie sich beruft und das sie damit selber schon zum bloßen Mittel macht. Darum das Prekäre aller Aussagen über die, von denen die Veränderung abhängt. Weil tatsächlich Mittel und Zwecke getrennt sind, können die Subjekte des Umschlags nicht als unvermittelte Einheit von beiden gedacht werden. Ebenso wenig aber läßt die Trennung theoretisch sich perpetuieren in der Erwartung, sie wären entweder einfach Träger des Zwecks, oder selber durchaus Mittel. Der rein vom Zweck bestimmte Oppositionelle ist heute ohnehin, als »Idealist« und Tagträumer, von Freund und Feind so gründlich verachtet, daß man eher darauf verfällt, von seiner Exzentrizität das Rettende zu erhoffen als dem Ohnmächtigen die Ohnmacht nochmals zu attestieren. Gewiß jedoch ist denen nicht etwa mehr zu vertrauen, die den Mitteln gleichen; den Subjektlosen, denen das historische Unrecht die Kraft lähmt es zu brechen, angepaßt an Technik und Arbeitslosigkeit, bündlerisch und verwahrlost, schwer zu unterscheiden von den Windjacken des Faschismus: ihr Sosein dementiert den Gedanken, der auf sie sich verläßt. Beide Typen sind auf den Nachthimmel der Zukunft projizierte Charaktermasken der Klassengesellschaft, und an ihren Fehlern wie an ihrer Unversöhnlichkeit hat die Bourgeoisie selber stets sich geweidet: dort am abstrakten Rigoristen, der Hirngespinste hilflos zu realisieren trachtet, hier am Untermenschen, der als Ausgeburt der Schmach diese nicht soll wenden können.
Wie die Rettenden wären, läßt sich nicht prophezeien, ohne ihr Bild mit dem Falschen zu versetzen. Zu erkennen aber ist, wie sie nicht sein werden: weder Persönlichkeiten noch Reflexbündel, am letzten aber eine Synthese aus beidem, hartgesottene Praktiker mit Sinn fürs Höhere. Wenn die Beschaffenheit der Menschen den extrem gesteigerten gesellschaftlichen Antagonismen sich wird angemessen haben, dann wird die menschliche Beschaffenheit, die zureicht, dem Antagonismus Einhalt zu tun, durch die Extreme vermittelt sein, nicht die durchschnittliche Mischung aus ihnen. Die Träger des technischen Fortschritts, heute noch mechanisierte Mechaniker, werden in der Entwicklung ihrer Spezialfähigkeiten den von der Technik bereits angezeigten Punkt erreichen, wo Spezialisierung gegenstandslos wird. Hat ihr Bewußtsein ins reine Mittel, ohne alle Qualifikation, sich verwandelt, so mag es aufhören Mittel zu sein, mit der Bindung an bestimmte Objekte die letzte heteronome Schranke durchschlagen; die letzte Befangenheit im Soseienden, den letzten Fetischismus gegebener Verhältnisse abstreifen, auch den des eigenen Ichs, das durch seine radikale Zurüstung zum Instrument zergeht. Aufatmend mag es der Unstimmigkeit zwischen seiner rationalen Entwicklung und der Irrationalität ihres Zweckes innewerden und danach handeln.
Zugleich aber sind die Produzenten mehr als je auf die Theorie verwiesen, zu der die Idee des richtigen Zustandes in ihrem eigenen Medium, konsequentem Denken, kraft insistenter Selbstkritik sich entfaltet. An der Klassenspaltung der Gesellschaft haben auch die teil, welche der Klassengesellschaft opponieren: sie scheiden sich untereinander, nach dem Schema der Trennung körperlicher und geistiger Arbeit, in Arbeiter und Intellektuelle. Diese Scheidung lähmt die Praxis, auf die es ankäme. Sie ist nicht willkürlich zu überwinden. Während aber die mit geistigen Dingen beruflich Befaßten selber immer mehr zu Technikern werden, macht die zunehmende Undurchsichtigkeit der kapitalistischen Massengesellschaft eine Verbindung der Intellektuellen, die es noch sind, mit den Arbeitern, die noch wissen, daß sie es sind, aktueller als vor dreißig Jahren. Damals war sie kompromittiert durch Bürgerliche der freien Berufe und der Zirkulation, die von der Industrie nicht hereingelassen wurden und versuchten, durch linke Betriebsamkeit Einfluß zu gewinnen. Die Gemeinschaft der Werktätigen von Kopf und Hand klang beruhigend, und das Proletariat witterte mit Recht in der von Figuren wie Kurt Hiller empfohlenen Führerschaft ihres Geistes einen Trick, eben durch Vergeistigung den Klassenkampf unter Kontrolle zu bringen. Heute, da der Begriff des Proletariats, in seinem ökonomischen Wesen unerschüttert, technologisch verschleiert ist, so daß im größten Industrieland von proletarischem Klassenbewußtsein überhaupt nicht die Rede sein kann, wäre die Rolle der Intellektuellen nicht mehr, die Dumpfen zu ihrem nächstliegenden Interesse zu erwecken, sondern den Gewitzigten jenen Schleier von den Augen zu nehmen, die Illusion, der Kapitalismus, welcher sie temporär zu Nutznießern macht, basiere auf etwas anderem als ihrer Ausbeutung und Unterdrückung. Die eingefangenen Arbeiter sind unmittelbar auf die verwiesen, die es eben noch sehen und sagen können. Ihr Haß gegen die Intellektuellen hat sich demgemäß verändert. Er hat sich den vorwaltenden gesunden Ansichten angeglichen. Die Massen mißtrauen den Intellektuellen nicht mehr, weil sie die Revolution verraten, sondern weil sie sie wollen könnten, und bekunden damit, wie sehr sie der Intellektuellen bedürften. Nur wenn die Extreme sich finden, wird die Menschheit überleben.
Theodor W. Adorno, Minima Moralia